Einleitung

Die Handschrift
Im Stadtarchiv Bielefeld befindet sich eine in altdeutscher Schreibschrift beschriebene Kladde, auf deren Titelblatt "Alte bekannte Lieder in Ravensberger Mundart von Heinrich Stolte" steht. An der Echtheit dieser Handschrift bestehen keine Zweifel. Es handelt sich um die Handschrift Heinrich Stoltes. Die Handschrift enthält die Texte von 79 Liedern in der ravensbergischen Mundart des Niederdeutschen. Diese Handschrift wurde 2007 erstmals von mir herausgegeben.

In der Handschrift finden sich keine Hinweise auf ihre Entstehungszeit. Die von Stolte für die Wiedergabe des Ravensbergischen verwendete Schreibweise zeigt jedoch noch nicht die Vollendung wie man sie in den seinen letzten beiden Werken "Bauernhof und Mundart. Beiträge zur niederdeutschen Volkskunde"1 und der Übersetzung des Neuen Testamentes2 findet. Sie erinnert vielmehr der Schreibweise seines ersten Werkes in platteutscher Sprache "Wie schreibe ich die Mundart meiner Heimat?"3

Die Übersetzung macht einen unfertigen Eindruck. Neben der Rechtschreibung fallen die häufig fehlenden Satzzeichen auf. Vorliegende Textausgabe gibt die Handschrift so wieder, wie sie ist. Satzzeichen, wurden von mir vor allem dann hinzugefügt, wenn dies dem besseren Verständnis des Textes dient. Hinzufügungen werden durch <>, Streichungen durch [] gekennzeichnet.

Die Lieder
Die Lieder sind in drei Kapitel eingeteilt: Volkslieder, Kirchenlieder und Lieder aus dem Kirchenjahr. Die Handschrift enthält keine Noten oder Anweisungen, wie diese Texte zu singen sind. Das ist auch nicht nötig. Der größte Teil der Volkslieder ist im deutschsprachigen Raum allgemein bekannt, die Kirchenlieder und die Lieder aus dem Kirchenjahr stammen aus der evangelischen Kirche und ihrem Umfeld.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Texte eine echte ravensbergische Volksüberlieferung darstellen. Vielmehr dürfte die Übersetzung auf Heinrich Stolte zurückgehen. Allerdings gebührt Heinrich Stolte auch das Verdienst, die Reste alter ravensbergischer Volksüberlieferung, die wohl teilweise gesungen oder skandiert wurde, für die Nachwelt gerettet zu haben.4 Die alten Gesänge und der größte Teil des Sagenschatzes scheint jedoch bereits um die Wende vom 18. zum 19. Jd. in Vergessenheit geraten zu sein5.

Der Übersetzer
Heinrich Stolte wurde 1858 auf einem Hof in der Bauernschaft Ströhen bei Brockhagen geboren. Er scheint bereits in jungen Jahren den elterlichen Hof verlassen zu haben, war später als Taubstummenlehrer in Bielefeld tätig und starb am 16. Juni 1935. Stolte wuchs in einer mehr oder weniger einsprachig plattdeutschen Umgebung auf. Er hat das später folgendermaßen formuliert: Up iusen Huawe weort dat Breokhiager Platt kuüert. Wui Kinner hairen for der Scheoltuit ninn haugduütsk Weort os blaut in den lütken Kinnergebedden, doe us Mudder lere.6 Nach der Pensionierung im Jahre 1923 hat Stolte seine Schaffenskraft auf die Dokumentation des Plattdeutschen verwendet. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass das Plattdeutsche im Ravensberger Land völlig untergeht, wenn es nicht aufgeschrieben wird: Doe aule Sproke goet innen Ramskenbrinker Lanne togrunne, wenn doe Hoematfrünne soe nich upschruiwet un redd´t.7 Eine erprobte Schreibweise für das Ravensbergische gab es bis dahin nicht, und nur wenige Autoren hatten zuvor auf Ravensberger Platt geschrieben.

Die Textausgabe
Vorliegende Textausgabe stellt die erste Veröffentlichung der Sammlung Alte bekannte Lieder in Ravensberger Mundart dar. Die Ausgabe folgt der Einteilung der Sammlung, so wie diese in der Handschrift gegeben ist. Eine Ausnahme ist die Nummerierung. Diese wurde von mir hinzugefügt. Sie folgt der Reihenfolge der Lieder in der Handschrift. Man kann der Ansicht sein, dass einige der Volkslieder nicht mehr in diese Zeit passen. Es ist aber weder Aufgabe noch Recht des Herausgebers, den Text zu zensieren.

Olaf Bordasch


1
Bauernhof und Mundart in Ravensberg : Beiträge zur niederdeutschen Volkskunde / von Heinrich Stolte. - Bielefeld : Küster, 1931
S. 45-53
Hochdeutsche Übersetzung in: Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg. - Jrg. 85 (1998/1999) ; S. 65-78

2 Das Neue Testament in die ostwestfälisch-niederdeutsche Mundart des Ravensberger Landes / übersetzt von Heinrich Stolte. 2007 erstmals herausgegeben.
3 Wie schreibe ich die Mundart meiner Heimat? : ein Beitrag zur niederdeutschen Rechtschreibung und Mundartforschung auf der Grundlage der Ravensberger Mundart in Brockhagen und Steinhagen / Heinrich Stolte. - Leipzig : Otto Lenz, [1925]
4 Bauernhof und Mundart S. 45
5 Westfälische Grammatik : die Laute und Flexionen der Ravensbergischen Mundart mit einem Wörterbuche / Hermann Jellinghaus. - Vaduz/Liechtenstein : Sändig Reprint Verlag Wohlwend, 2001. - VIII, 156 S. ; 21 cm
(unveränderter Neudruck der Ausgabe von 1877)
ISBN 3-253-02411-3 (im Vorwort)

6 Bauernhof und Mundart S. 45
7 ebd.

Letzte Änderung: 14. September 2015 Zurück

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Alte bekannte Lieder in Ravensberger Mundart von Heinrich Stolte
und herausgegeben
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